Gegen „Zivilgesellschaft“ – oder: Des Kaisers neue Kleider

Dieter Schöffmann | zwischen Berlin und Köln, 23. März 2017

Ich habe heute am Workshop „Partizipationsverfahren im Rahmen des Agenda-Settings in der Forschungs- und Innovationspolitik“ des Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) zum teilgenommen. Es sollten Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeitet werden.

Der Titel eines Einführungsvortrages lautete: „Wer oder was ist Zivilgesellschaft – und wen beteiligen?“ Diese Frage, die mich auch schon länger beschäftig, wurde nicht beantwortet. Vielmehr wurde mehrfach festgestellt, dass die Definition schwierig sei und dass je nach dem auch unterschiedliches mit diesem Begriff verbunden werde. Dies hat aber niemanden daran gehindert, sich laufend auf „die Zivilgesellschaft“ zu beziehen, wie dies auch laufend in den verschiedensten öffentlichen Diskursen, politischen Positionspapieren, einschlägigen Veranstaltungen usw. geschieht.

Wer oder was ist also „die Zivilgesellschaft“ bzw. die „zivilgesellschaftlichen Organisation“? Ich weiß auch nicht die Antwort und kann hier auch keine operationalisierbare Definition liefern. Aber ich versuche mal zu skizzieren, was ich jeweils bei der Verwendung dieses Begriffes heraushöre:

Synonym für den „gemeinnützigen Sektor“: Vor der exzessiven Verwendung des Begriffs „Zivilgesellschaft“ bzw. „zivilgesellschaftlicher Sektor“ lautete die Drei-Sektoren-Aufteilung „Staat – Wirtschaft – gemeinnütziger Sektor“ und jetzt eben „Staat – Wirtschaft – Zivilgesellschaft“. Also: Ist „Zivilgesellschaft“ alles, was nicht „Staat“ oder „Wirtschaft“ ist? Sind es alle Organisationen in der gesellschaftsrechtlichen Form des Vereins, der GmbH, der Aktiengesellschaft, Genossenschaft oder Stiftung mit dem steuerrechtlichen Status der Gemeinnützigkeit?

Teilmenge der Gesellschaft: Sind es alle AktivbürgerInnen, also die Menschen, die sich über das Private und Familiäre hinaus für öffentliche Anliegen engagieren – also die aktiven Mitglieder des Gemeinwesens, die bürgerschaftlich Engagierten?

Handlungsmodus des bürgerschaftlichen Engagements: Findet „Zivilgesellschaft“ immer dann und überall dort statt, wo sich Menschen bürgerschaftlich engagiert zusammentun? Zählen dann nur die (steuerrechtlich) gemeinnützigen Organisation dazu, die über ein bürgerschaftlich engagiertes Element verfügen – also freiwillig, ehrenamtlich, unentgeltlich Mitwirkende? Oder können dann auch öffentliche und privatgewerbliche Organisationen dazuzählen, und zwar in dem Maße, wie sie sich als juristische Person (Corporate Citizen) und mit ihren MitarbeiterInnen unentgeltlich für öffentliche Anliegen engagieren?

Das Problem meines Erachtens, dass „Zivilgesellschaft“ als vermeintlich eindeutiger Begriff verwendet wird, mit dem man etwas begreifen, verstehen, definieren, unterscheiden … kann. Dem ist aber nicht so, wie auch die heutige Diskussion wieder gezeigt hat.

Wenn aber das, was damit gemeint ist, zu komplex ist, um es operationalisierbar definieren zu können, dann sollte man dieses Wort auch nicht in einer Weise verwenden, als wenn man damit entscheiden könnte, wer zu beteiligen, zu fördern usw. ist.

Also werde ich das Wort „Zivilgesellschaft“ nicht mehr verwenden – außer wenn ich mich, wie hier, kritisch damit auseinandersetze. Und ich empfehle dies auch Allen, die die Diffusität von „Zivilgesellschaft“ spüren. Stattdessen sollte jeweils mit nachvollziehbaren Indikatoren umschrieben werden, was man jeweils meint. Sollte sich dann im Laufe der Zeit herausstellen, dass immer wieder die gleichen Indikatoren für die Umschreibung verwendet werden, dann haben wir vielleicht einen Ansatz zur Definition von „Zivilgesellschaft“ gefunden und können den Begriff verwenden.

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